THEON SYMBOLON

Peter Heigl

THEON SYMBOLON
Theologisches Sprechen ist Symbolsprache
– Option: Pragmatischer Theismus –

„Jeder Mensch ist von Gott geliebt.“ Ein ergreifender Satz, ein poetisches Bild!

Wissenschaftlich gesehen ist das Bild absolut angreifbar. Denn: Keine metaphysisch-theologische Aussage ist beweisbar im wissenschaftlichen Sinn.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ – Der Grundsatz der Menschenrechte ist die moderne Übersetzung des alten Bildes.

Alle theologischen Aussagen sind Symbole: THEON SYMBOLON Alles theologische Sprechen ist Symbolsprache. Auf Griechisch bedeutet THEOS Gott, THEA Göttin, THEON das Göttliche. Die männliche Form wurde für die Götter, die weibliche Form für die Göttinnen benutzt. Das Neutrum konnte und kann man für alles benutzen, was die alten Griechen, aber auch wir heutigen Menschen, als heilig oder göttlich bezeichnen mögen. Aber wir heutigen Menschen wissen: Alles Sprechen von Göttern oder Göttlichem ist Symbolsprache!

Und zugleich wissen wir: Symbolsprache ist wertvoll. Sie ist uns meist näher als die Sprache der Wissenschaft. Sie trifft unsere gefühlten Bedürfnisse oft besser.

Das Bild ergreift vor allem den Menschen mit theistischem Weltbild. Ein atheistischer Denker wird das Bild als unsinnig abtun. Ein polytheistisch orientierter Mensch, ein alter Grieche etwa oder ein Hindu, würde zusätzlich fragen: Von welchem Gott / welcher Göttin werde ich besonders geliebt? In monotheistischen Religionen, wo es ja nur noch einen Gott gibt, wird diese Frage nicht mehr gestellt. Schade eigentlich! Der machtpolitisch motivierte Versuch, ein einziges Gottesbild durchzusetzen, hat möglicherweise der Welt mehr Krieg und Unfrieden gebracht als mehr Liebe und Mitmenschlichkeit.

Manchmal wünsche ich mir, die vielen Göttinnen und Götter sollten noch weiter miteinander konkurrieren, aber unter den Kriterien von Lessings Ringparabel: Wer von all den Gottesbildern am meisten Menschlichkeit hervorbringt, ist das richtige!

Dennoch: Das Bild vom gottgeliebten Menschen ist großartig. Denn es besagt: Der Mensch darf sich göttlich geliebt und willkommen fühlen im Universum. Es ist ein himmelweiter Unterschied zu der gegenteiligen Aussage, dass der Mensch als Zufallsprodukt in ein kaltes und grausames Universum geworfen ist, das seinem Fühlen und Denken gegenüber kalt ist. Es ist zweifellos lebensförderlich, wenn sich der Mensch als etwas Besonderes, als geliebt fühlen darf.

Je größer das Wissen, die geistige Selbstständigkeit und Unabhängigkeit eines Menschen, umso höhere Ansprüche stellt er an die geistige Vereinbarkeit von Ratio und Religion. Religion ist Opium für das Volk, sagt Marx, und er kritisiert damit die Rolle der Religion als Vertröstung aufs Jenseits.

Doch ebenso gilt: Religion ist für viele eine Quelle der Kraft. Rituale, Gebete, Poesie, Musik und Kunst, Nachdenken über Werte und Lebenssinn können Therapie sein. Was heilt und hilft, ist gut. Was Menschen in Leid und Tod hilft, darf man nicht abwerten. Es kommt darauf an, dass Religiosität so formuliert wird, dass sie dem Menschen nicht schadet, sondern nützt; dass sie großherzig macht, nicht klein; dass sie dankbar macht, nicht deprimiert; dass sie Freude, Lebensmut und Hoffnung schenkt; dass sie im Einklang steht mit dem kritischen Verstand, re-ligio plus ratio !

Menschen bitten und danken in fast allen Lebenssituationen: bei Geburt und Tod, in Freude und Trauer, im Krieg und im Frieden, im Überfluss und im Mangel. Bei Ritualen wie Hochzeiten, Trauerfeiern etc. richten sich Gebete meist an ein personales Gegenüber.

Das göttliche Gegenüber spricht man leichter an als ein abstraktes geistiges Prinzip. Der Beter ist dabei „per Du“ mit dem Göttlichen – mit Gott, Vater, Mutter, Logos, El, Allah, Brahman, Tao, dem Großen Geist, dem Weltengeist, dem Absoluten. Der betende Mensch erlebt sich so in Verbundenheit mit dem höchsten Sein und damit mit allem Sein. Gebet ist aus theistischer Sicht die Zwiesprache mit Gott oder Göttern.

Aus pantheistischer Sicht ist Gebet ein metaphysisches Selbstgespräch mit der Tiefendimension des Seins. Die Sprache der Religion ist vielfältig wie die verschiedenen Sprachen in der Dichtung und Literatur, in der Sprache der Musik und des Tanzes.

Im Gebet und Ritual wenden sich Menschen lieber an das persönliche Du. Gespräch und Zwiesprache mit einem Gegenüber gehen uns meist leichter über die Lippe als abstrakte Reflexion. Die Worte „Gott sei Dank“ sagen wir eher als „Der Natur sei Dank!“ Oder: „Wir wünschen Euch Gottes Segen“ und ein „God bless you!“ sprechen uns mehr aus dem Herzen als ein nüchternes „Wir wünschen Euch viel Glück“. Es ist trostvoller zu sagen: „Wir wissen unseren lieben Toten in Gottes Hand“, als der Satz „Er hat uns für immer verlassen“.

Gebet und Meditation stabilisieren. Es entwickelt sich ein positives Lebensgefühl, wenn man sich vom Kosmos geliebt fühlt, als wenn man sich in ein eiskaltes Universum geworfen fühlt. Der aufgeklärt religiöse Mensch kennt diese guten Erfahrungen. Er kann Ja sagen zur notwendigen Entmythologisierung alter Texte, aber auch zum großen Wert der religiösen Symbolsprache. Dass andere sein Gespräch mit der Transzendenz interpretieren als bloße Projektion, als Bildersprache, damit kann er gelassen und heiter umgehen, gelöst im Hier und Heute, im ewigen Du, „von guten Mächten wunderbar geborgen“…

Der aufgeklärte religiöse Mensch wird es sich nicht nehmen lassen, das theistische Bild mit Freude, wenngleich mit der gebotenen Umsicht, zu benutzen. Er wird bei interreligiösen Feiern auf wichtige Kriterien achten: er wird Gefühle von Andersgläubigen nicht verletzen. Er wird Gebete wählen, die kosmopolitischen, menschenfreundlichen Geist atmen.

Dem aufgeklärten religiösen Menschen ist es bewusst, dass das Formulieren theologisch-metaphysischer Positionen aus wissenschaftlicher Sicht angreifbar ist. Man kann durchaus mit Ludwig Wittgenstein der Meinung sein: „Wovon man nicht reden kann, darüber soll man schweigen.“ Diese Option ist nicht die schlechteste und mündet in demütige Stille. Viele religiöse Menschen, ja ganze Religionsgemeinschaften gehen diesen Weg, z.B. wenn Buddhisten sagen, man kann über das Göttliche nicht reden, sondern es nur in der Meditation erfahren. Aber auch manche der christlichen Mystiker lehren uns, dass man über das Göttliche und die Gottheit lieber schweigen solle.

Kluge und weise Religionsführer wie Buddha oder LaoTse oder Konfuzius taten gut daran, über metaphysische Dinge nicht zu spekulieren, ja das Schweigen darüber zur höheren Weisheit zu erklären. Mit dem Ergebnis, dass sich die Religionen, die sich auf sie berufen, nicht so sehr in Glaubenskriegen zerfleischten wie die monotheistischen Glaubensbrüder.

Die monotheistischen Religionen waren meist weniger weise. Sie gingen fast immer davon aus, dass es nur eine Wahrheit gebe. Dieser Absolutheitsanspruch tat den Religionen nicht gut und brachte Unsegen, Unglück, Leid und Tod in die Religionen und durch die Religionen.

Die polytheistischen Religionen akzeptieren das Göttliche in vielerlei Gestalten. Sie akzeptieren, dass das Göttliche in seinen vielerlei Gestalten von anderen Völkern und anderen Ländern auf andere Weise erlebt, interpretiert und geheiligt wird.

Die Rigorosität des Eingottglauben zeigte sich von Anfang an: Der ägyptischen Pharao Echnaton ordnete rigoros den ersten geschichtlich fassbaren Eingott-Glauben an. Verständlicher Weise kam es zum Widerstand: Die Priesterschaften der bisherigen Götterkulte widersetzten sich, und nach Echnatons Tod ging der Eingott-Glaube wieder unter. Moses begründete schließlich einige Jahrhunderte später die Mosaische Religion.

Das Judentum wird zur ersten durchgehenden monotheistischen Religion. Moses, der am Pharaonenhof groß wurde, hat den Glauben an den einen Gott zur zentralen Botschaft gemacht. Er befreite seine jüdischen Brüder aus der Abhängigkeit und Knechtschaft Ägyptens. Die Kraft für eine neue, immer auch gefährdete Existenz fand man im Glauben an den einen Gott, der das Volk Israel in besonderer Weise ausgewählt hat. Die strengen Verbote und Gebote des Mosaischen Gesetzes sieht man religionspsychologisch und religionssoziologisch als Kitt und einigendes Band für ein Volk, das sich als auserwählt sah. Besondere rituelle Vorschriften verbinden – und separieren.

Jesus von Nazareth hat die Liebe Gottes zu allen Menschen und Nationen gepredigt. Er glaubte daran, dass Gott nicht ein Gott der Rache, sondern der Liebe sei, dass alle Menschen als Brüder und Schwestern leben sollen, die Liebe über allen Geboten stehe. Seine Botschaft und sein Leben ließen das Christentum als neue Religion aus dem Judentum entstehen. Das Christentum übernahm wesentliche Elemente des Judentums und verband es mit wichtigen Botschaften des Jesus von Nazareth, den man nach seinem Tod als Messias, griech. Christos als besonderen Sohn Gottes erkannte. Für Jesus stand der monotheistische, patriarchalische Gottesbegriff niemals in Frage. Es war ein gütiger, liebender Gott, zu dem er betete, in dem er sich geborgen wusste, ja, mit dem er sich eins fühlte. Die ersten christlichen Jahrhunderte brachten eine unglückselige Dogmatisierung. Kaiser Konstantin sah in einem einheitlichen Christentum und einer einheitlichen Religion eine Chance für das riesige Römerreich. Unter seinem Vorsitz wurde auf dem Konzil von Nizäa 325 das erste christliche Dogma erlassen. Es sollten noch viele folgen…

Die Dogmatisierung des Christentums brachte mehr Zwiespalt in die Religion als Frieden und Einheit. Als Mohammed das zerstrittene Christentum kennen lernte, predigte er den Weg zurück zu dem einen Gott. Er hat aus dem zerstrittenen Christentum gelernt: er predigte eine viel einfachere und klarere Botschaft. Doch auch seine Jünger entzweiten sich und lehrten verschiedene Interpretationen. So kam es, dass sich tragischerweise ausgerechnet die drei verwandten monotheistischen, abrahamitischen Religionen am meisten von allen Religionen dieser Erde zerfleischten.

Allen drei monotheistischen Religionen ist gemeinsam: das Grundsätzliche, der Monotheismus, wird nicht in Frage gestellt wird.

Allen drei monotheistischen Religionen ist auch gemeinsam, dass sie zu einem männlichen Gott beten. Eine patriarchalische Gesellschaft kann sich keinen anderen Gott vorstellen als eine Vaterfigur. Auch die politischen Leitfiguren waren ja männlich, und so fügten sich Politik und Religion zusammen. Nur wenige sprachen von einer Gottheit, die als Vater und Mutter angesprochen werden kann. Eine weibliche Gefährtin Gottes, die in vorbabylonischen Schriften der Bibel noch vorhanden war, geriet in Vergessenheit.

Dass man Theon, das Göttliche, die göttliche Kraft, auch als weibliche Kraft interpretieren und ansprechen kann, auf diese Wiederentdeckung des weiblichen Gottes kamen erst Vertreterinnen der feministischen Theologie in den letzten Jahrzehnten, von nur ganz wenigen Gottesgelehrten in früheren Jahrhunderten abgesehen, die aber Leib und Leben riskierten.

Eine ebenso gefährliche Position hatten Theologen, die eine abstrakte Gottesidee vertraten: Sie sprachen von einer Gottheit oder einem geistigen Prinzip der Gottheit oder dem höchsten Guten. Dieses Prinzip war eigentlich bereits vorgegeben durch die abstrakten Begriffe der Griechen im ersten vorchristlichen Jahrtausend. Das Göttliche, die Seele des Kosmos, das Schöpfungsprinzip wurde als Logos oder als Nous bezeichnet. Sogar das hebräische Ruach bezeichnet den Geist Gottes, der übrigens grammatikalisch weiblich ist, und wurde griechisch mit sophia übersetzt. – Dennoch: Wer einen nur abstrakten Gott lehrte, war ein Fall für die Inquisition und im schlimmsten Fall für den Scheiterhaufen. Die religiösen Denker mussten immer auch den Spagat zwischen religiöser Intuition und Rechtgläubigkeit versuchen. Die Intuition lehrte sie, dass das Göttliche nicht in dogmatische Begriffe zu fassen ist, die offizielle Lehre forderte ein Bekenntnis zum dogmatisierten Glaubensbekenntnis. Wer seinem Gewissen treu blieb, riskierte sein Leben.

Wir können froh und dankbar sein, dass diese Zeiten vorbei sind, zumindest in unserem Kulturkreis.

Man kann heute auch eine entschieden atheistische Weltanschauung formulieren, ohne Leib und Leben zu riskieren. Wir können aber auch die Vorteile der theistischen Weltsicht übernehmen, ohne uns dogmatisch gängeln und bevormunden zu lassen.

Ebenso wie wir Ilias und Odyssee nicht wörtlich nehmen, aber ihre großartige Poesie und Bildkraft spüren können, so können wir auch die reale Kraft des Göttlichen und ihre poetisch-religiösen Bilder in uns wirksam werden lassen.

Dieser pragmatische Theismus setzt auf innere Erfahrung, nicht auf Dogmen. So haben es die ganz Großen der Religionen dieser Welt getan. Und damit können auch wir dem Theon, dem Göttlichen, näher kommen.

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