– Weltbild, Religion und Ethik bei A.Einstein und A.Schweitzer –
Dr.Peter Heigl
Albert Einstein (1879-1955) und Albert Schweitzer (1875-1965) waren beide großartige Denker. Beide wurden in Deutschland geboren, ihre Muttersprache war deutsch, beide erlebten zwei Weltkriege und das Atomzeitalter und wurden erklärte Gegner der Atombombe. Einstein erhielt den Nobelpreis für Physik (1921), Schweitzer den Friedensnobelpreis (1952). Sie hatten den gleichen Vornamen. Und sie sahen sich teils sehr ähnlich. Es ist interessant, Gemeinsamkeiten und Unterschiede heraus zu arbeiten.
“Sag mir, wie hältst Du’s mit der Religion?” Die Gretchenfrage aus Goethes Faust haben wir an die beiden Nobelpreisträger gerichtet. Was gab ihnen Halt und Kraft, Sicherheit und Stärke?
Die hier genannten Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden in Bezug auf Religion sind Ausgangspunkt für unsere Reflexionen im Verlauf des Seminars “Nobelpreisträger und der liebe Gott”. Freude und Erfolg beim Nach- und Mitdenken wünscht Dr.Peter Heigl.
Zentrale Zitate von A.Einstein (1879 – 1955)
und A.Schweitzer (1875 – 1965)
A.Einstein: „Es ist die kosmische Religiosität, die solche Kräfte spendet.“ (Aus: Religion und Wissenschaft.) – „Das Wesen der Religion ist für mich die Fähigkeit, sich in die Haut des anderen zu versetzen, sich mit ihm zu freuen und mit ihm zu leiden.“ (Aus: Einstein sagt. Zitate, Einfälle, Gedanken.) – „Das Schönste und Tiefste, was der Mensch erleben kann, ist das Gefühl des Geheimnisvollen. Es liegt der Religion sowie allem tieferen Streben in Kunst und Wissenschaft zugrunde. Wer dies nicht erlebt hat, erscheint mir, wenn nicht wie ein Toter, so doch wie ein Blinder. Zu empfinden, dass hinter dem Erlebbaren ein für unseren Geist Unerreichbares verborgen sei, dessen Schönheit und Erhabenheit uns nur mittelbar und in schwachem Widerschein erreicht, das ist Religiosität. In diesem Sinne bin ich religiös.“ (Aus: A.Einstein: Mein Glaubensbekenntnis.)
A.Schweitzer: „Die Weltanschauung der Ehrfurcht vor dem Leben hat also religiösen Charakter. Der Mensch der sich zu ihr bekennt und sie betätigt, ist in elementarer Weise fromm“ (Aus: A.Schweitzer:Aus meinem Leben und Denken.) „Da wage ich zu sagen, dass die ethische Religion der Liebe bestehen kann ohne den Glauben an eine ihr entsprechende, die Welt leitende Gottespersönlichkeit.“ (Brief an E.Jacobi, zit.n.H.Steffahn: Schweitzer)
Gemeinsamkeiten im Lebenslauf:
Beide wurden in Deutschland geboren, und ihre Muttersprache war deutsch.
(A.E. in Ulm, A.S. in Kaysersberg im Elsass, was damals zu D. gehörte.)
Beide erlebten das Kaiserreich, Weimarer Republik, Nationalsozialismus, zwei Weltkriege, Atomzeitalter.
Beide erhielten den Nobelpreis. A.Einstein erhielt den Nobelpreis für Physik (1921), A.Schweitzer den Friedensnobelpreis (1952). Beide erhielten viele weitere Auszeichnungen, Preise und Ehrenpromotionen, u.a. den Orden Pour le mérite.
Beide strebten wissenschaftlich nach Erkenntnis und Wahrheit, setzten sich ein für Menschlichkeit und Frieden, gegen das Wettrüsten und die Atomkriegsgefahr.
Beide haben sich kennengelernt und geschätzt . Nach heutigem Kenntnisstand haben sie sich zweimal kurz getroffen, in Berlin und in London (um 1930). Sie haben sich mehrere Briefe geschrieben und gegenseitige Wertschätzung ausgedrückt.
Beide haben zueinander eine Seelenverwandtschaft empfunden, trotz aller Unterschiede:
A.Einstein konnte cholerisch sein, war aber meist ein „fröhlicher Fink“, Spaßvogel, Genießer.
A.Schweitzer war ein ernster Denker mit höchstem Anspruch an Arbeitsmoral und Pflichtgefühl.
Beide schätzten sich trotz dieser Gegensätze schätzten sie sich gegenseitig sehr, wie ihre Briefe beweisen:
Schweitzer an Einstein (1951):
„Lieber Freund. Lassen Sie mich Sie so nennen, denn es entspricht den Gedanken, die ich für Sie hege, und dem, was wir an Hoffen und Sorgen für die Zukunft der Menschheit miteinander gemeinsam haben.“
Einstein an Schweitzer (1954):
„Lieber und verehrter Albert Schweitzer!… Man sieht, dass Ihr stilles Vorbild eine tiefgehende Wirkung auslöst. Darüber dürfen wir uns alle freuen.“
Einstein über Schweitzer (1953):
„Er ist nach meiner Meinung der einzige Mensch in der westlichen Welt, der eine mit Gandhi
vergleichbare übernationale moralische Wirkung auf diese Generation gehabt hat. Wie bei Gandhi beruht die Stärke dieser Wirkung überwiegend in dem Beispiel, das er durch sein praktisches Lebenswerk gegeben hat.“
Gemeinsamkeiten bzgl. Welt- und Menschenbild, Religion und Ethik:
Beide lehnen Dogmatik in Philosophie und Religion, Wissenschaft und Ethik ab.
Beide fühlen sich der Aufrichtigkeit und Wahrheit verpflichtet, nicht weltlichen Obrigkeiten.
Beide setzen sich ein für eine weite Sichtweise der Religion, eigenverantwortliche Religiosität und Spiritualität.
Beide lehnen dogmatischen Theismus ab, neigen eher zu Pantheismus bzw. Panentheismus.
A.E. nennt Spinoza („Ich glaube an Spinozas Gott…“), bleibt erkenntnistheoretisch eher agnostisch.
A.S. nennt als Gewährsmann den Pantheisten Goethe, das „Zentralgestirn“, sich selbst „Möndchen“.
Beide entwickeln ihre Sichtweise gegen Anfechtungen und Anfeindungen durch traditionelle Institutionen.
A.E. macht sich frei vom jüdischen Glauben seiner Kindheit, der traditionellen Gesetzesreligion, fühlt sich aber dem Judentum als Volks- und Schicksalsgemeinschaft verbunden.
A.S. macht sich frei vom dogmatischen Christentum, bleibt aber überzeugter Christ im Sinne eines freien Christentums, trotz innerkirchlicher Anfeindungen und zeitweiligem Predigtverbot.
A.E. nennt sich selber einen „tief religiösen Ungläubigen“.
A.S. Der Biograph H.Steffahn nennt A.S. „frommen Agnostiker“, z.B. wg. „Da wage ich zu sagen, dass die ethische Religion der Liebe bestehen kann ohne den Glauben an eine ihr entsprechende, die Welt leitende Gottespersönlichkeit.“
Beide erachten ethisches, liebendes Tun höher als alle anderen Werte,
„höher als alle Leistungen des forschenden und konstruktiven Geistes“ (A.E.),
durch „Leben erhalten, Leben fördern, Leben auf seinen höchsten Wert bringen“ (A.S.).
Beide sprechen vom sehr „einfachen“ Impuls zu ihrer Form von Ethik und Religiosität:
Bei A.E. ist es das Staunen und die „demütige Bewunderung“ des Universums.
Bei A.S. ist es die „Ehrfurcht vor dem Leben“.
Beide schöpften Ihre Kraft also aus einer Art gemeinsamen Quelle.
Bei A.S. kommen hinzu: Ideen des freien Christentums,
Jesus, Bach Kant, Goethe, religiöse Rituale, Gebete, Gesänge, Orgelspiel.
Beide sind pessimistisch und optimistisch zugleich bzgl. des eigenen Erkennens und Tuns:
A.E.: „Wir müssen unser Bestes tun. Das ist unsere heilige menschliche Verantwortung.“
A.S.: „Auf die Frage, ob ich pessimistisch oder optimistisch sei, antworte ich,
dass mein Erkennen pessimistisch und mein Wollen und Hoffen optimistisch ist.“
„Weil ich auf die Kraft der Wahrheit und des Geistes vertraue, glaube ich an die Zukunft der Menschheit.“
Unterschiede:
A.E. wendet sich ab von der jüdischen Religionsausübung. Traditionelle Religionspraxis ist für ihn überholt. Kosmische Religion führt für ihn eher hin zu Humanität, Solidarität, Gewaltfreiheit, Gerechtigkeit und Frieden. „Das Wesen der Religion ist für mich die Fähigkeit, sich in die Haut des anderen zu versetzen, sich mit ihm zu freuen und mit ihm zu leiden.
A.S. bleibt „dem Christentum in tiefer Liebe ergeben“, schätzt Gesang und Gebet, traditionelle Riten, wenn sie hinführen zum „Erleben des Einsseins mit dem Unendlichen, dem Göttlichen“.
Dogmen-Christentum ist für ihn überholt. Wahres Christentum sollte ethisches Christentum werden, eine Religion der gelebten Liebe und Hilfe; dann ist es „Höherentwicklung des menschlichen Denkens“ auf dem Weg zur universalen religiösen Formel „Ehrfurcht vor dem Leben“ und „Alles Leben ist heilig“.
A.S.: enorme Arbeitskraft und Physis, die mit wenig Schlaf auskommt. Talent plus gigantisches Arbeitspensum, Dr.phil mit 25, Dr.theol. , bedeutende Publikationen in Philosophie, Theologie, Musik; Medizin-Studium mit 30, Examen mit 35; Arbeit im Spital in Afrika als Arzt, Allrounder, „Maurer und Zimmermann“, Seelsorger; Mediziner, Schriftsteller, dazwischen in Europa: Vorlesungen, Vorträge, Konzerte, Orgeleinspielungen; höchstes Arbeitsethos, Tag und Nacht-Arbeit bis ins Hohe Alter.
A.E.: Hohe Begabung, mittlerer Fleiß, Unmut, verlässt Gymnasium ohne Abschluss, „spätes Fragen“, Reifung, Durchbruch der Genialität ohne übermäßigen Kraftaufwand , bereits mit 26 Jahren „Annus mirabilis“, darauf Anerkennungen, Ehrungen, Professorenstellen in Zürich, Prag, Berlin (ohne Lehrverpflichtungen, freigestellt für Forschung), Princeton; entspanntes Arbeiten ohne äußeren Druck; bei Emeritierung im Wissen seiner Leistung: „Jetzt kann ich in Ruhe vertrotteln“ 😉
A.E.: erste Ehe mit Mileva, ihr gemeinsames uneheliches Kind Lieserl (+ ?) bleibt ohne jede Erwähnung im weiteren Leben, zwei eheliche Söhne, Trennung von der Familie wegen Cousine Elsa; “unsterblich verliebt”, aber die zweite Ehe mit Elsa wird Zweckehe mit entwürdigender Behandlung seiner Frau, viele weitere Beziehungen, die Elsa hinnimmt, gute persönliche Beziehung zu Schwester Maja und Stieftochter Margot; er sieht sich in Sachen Beziehung als “Versager”; die Frauen in seinem Leben sind Lebensabschnittspartnerinnen und Inspirationsquelle.
A.S. Ehe mit Helene Bresslau, Sozialwissenschaftlerin und zusätzliche Ausbildung zur Krankenschwester, mit 36, lebenslange gute Beziehung und Zusammenarbeit mit Ehefrau und Tochter Rhena trotz häufiger Fernbeziehung Afrika–Europa; seine Frau ist “Lebensgefährtin”, sie stehen zusammen “in guten und schweren Tagen”.
A.S.: hohe Verehrung zu Lebzeiten, Kultfigur über den Tod hinaus, aber auch Anfeindungen („Post-Kolonialist“, „Krypto-Rassist“, „Großtyrann der Nächstenliebe“.)
A.E.: hohe Verehrung, Kultfigur über den Tod hinaus, aber auch Anfeindungen (in D. als Jude und „Verräter“, in Amerika als „Kommunist“ und „Pazifist“.)
A.S.: Letzter Wunsch: Wünscht sich als letzte Ruhestätte gemeinsames Grab mit Helene in Lambarene.
A.E.: Letzter Wunsch: wünscht kein persönliches Grab, sondern Verstreuen der Asche im Meer.
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