Kosmische Religion und kosmische Gemeinschaft als Einsteins Vermächtnis
Dr.Peter Heigl
„Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle. Es ist das Grundgefühl, das an der Wiege von wahrer Kunst und Wissenschaft steht. Wer es nicht kennt und sich nicht mehr wundern, nicht mehr staunen kann, der ist sozusagen tot und sein Auge erloschen Das Erlebnis des Geheimnisvollen – wenn auch mit Furcht gemischt – hat auch die Religion gezeugt. Das Wissen um die Existenz des für uns Undurchdringlichen, der Manifestationen tiefster Vernunft und leuchtendster Schönheit, die unserer Vernunft nur in ihren primitivsten Formen zugänglich sind, dies Wissen und Fühlen macht wahre Religion aus; in diesem Sinn und nur in diesem gehöre ich zu den tief religiösen Menschen…“
Albert Einstein. Mein Weltbild.
Hg.Carl Seelig, München Ullstein 2010,
32.Auflage, S.12
Albert Einstein hat als Physiker und Mathematiker unser Weltbild fundamental verändert. Er gilt mit Recht auch als großer Philosoph. Er hat sich immer wieder zu philosophischen Themen geäußert: zu Fragen der Ethik und des menschlichen Zusammenlebens, Krieg und Frieden, Weltanschauung und Religion. In seinen späteren Lebensjahrzehnten hat er sich viel mit Religion befasst. Dabei sprach er vielen Menschen aus der Seele, die Religion neu, frei und offen definieren wollen: als Religion, die die sich bekennt zu Toleranz, Gerechtigkeit und Frieden, und vor allem auch: die vereinbar ist mit den Erkenntnissen der Wissenschaft.
Moses, die Propheten, Buddha, Zarathustra, Jesus, Franz von Assisi, Spinoza u.a. nennt Einstein als große Gestalten der Religionen, die uns Orientierung geben können auf dem Weg zu einer reifen Religion. Er unterscheidet in seinem berühmten Artikel „Religion und Wissenschaft“ (New York und Berlin, 1930) drei Formen von Religion: die Furcht -Religion, die moralische Religion und die kosmische Religiosität.
Von der Furcht-Religion sagt er: „Diese wird nicht erzeugt, aber doch wesentlich stabilisiert durch die Bildung einer besonderen Priesterkaste, welche sich als Mittlerin zwischen den gefürchteten Wesen und dem Volke ausgibt und hierauf eine Vormachtstellung gründet. Oft besteht …eine Interessengemeinschaft zwischen der politisch herrschenden Kaste und der Priesterkaste.“ – Von den moralischen Religionen schreibt er: „Die Sehnsucht nach Führung, Liebe und Stütze gibt den Anstoß zur Bildung des sozialen bzw. moralischen Gottesbegriffes. Es ist der Gott der Vorsehung, der beschützt, bestimmt, belohnt und bestraft.“
Über die kosmische Religion heißt es bei Einstein: „Diese lässt sich demjenigen, der nichts davon besitzt, nur schwer deutlich machen, zumal ihr kein menschenartiger Gottesbegriff entspricht … Die religiösen Genies aller Zeiten waren durch diese kosmische Religiosität ausgezeichnet, die keine Dogmen und keinen Gott kennt, der nach dem Bild des Menschen gedacht wäre. Es kann daher auch keine Kirche geben, deren hauptsächlicher Lehrinhalt sich auf die kosmische Religiosität gründet…“
Die kosmische Religion ist nach Einstein eine Religiosität ohne Dogma. Im Alter nennt sich Einstein „tiefreligiös“, genauer: einen „tiefreligiösen Ungläubigen“. Denn er ist sich bewusst, dass er in den Augen seiner dogmatisch denkenden jüdischen und christlichen Umwelt „ungläubig“, nach seiner eigenen Definition jedoch tiefreligiös ist. Das Prinzip dieser Religion erklärt er 1929, als er von einem New Yorker Rabbiner gefragt wurde: „Glauben Sie an Gott?“ Seine Antwort: „Ich glaube an Spinozas Gott, der sich in der gesetzlichen Harmonie des Seienden offenbart, nicht an einen Gott, der sich mit dem Schicksal und den Handlungen der Menschen abgibt.“ Göttliches Wirken offenbart sich, so Einstein, im Gesetz der Kausalität. Gott ist das Prinzip von Ursache und Wirkung. Es ist ein Gott, dem die Gesetze des Universum folgen müssen, nicht einer, der belohnt und straft. „Aller höheren naturwissenschaftlichen Arbeit liegt eine fast religiös zu nennende Überzeugung zugrunde, dass die Welt rational und verstehbar ist.“ Der Gott der Bibel ist für ihn ein „unrühmlicher Versuch“, „das Moralgesetz auf Furcht zu gründen.“ Und dennoch gilt: „Einen legitimen Konflikt zwischen Religion und Wissenschaft kann es nicht geben… Naturwissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohne Naturwissenschaft ist blind. (1930)
Es gibt kaum einen modernen Naturwissenschaftler, der häufiger den Namen Gottes im Munde führte. Er spricht häufig vom „Schöpfer“ oder vom „Herrgott“. Er benutzt beinahe ungeniert die religiöse Sprache, wohl wissend, dass er nicht denselben Gott meint wie seine dogmatischen Zeitgenossen. Die religiöse Sprache als Symbol oder Chiffre ist für ihn jedoch die geeignetste Form, seine wissenschaftlich geläuterte Religiosität auszudrücken. Einige Beispiele: „Gott würfelt nicht.“ (1921) „Die Theorie liefert viel, aber dem Geheimnis des Alten bringt sie uns kaum näher. Jedenfalls bin ich überzeugt, dass der nicht würfelt.“ (1926 ) „Raffiniert ist der Herrgott, aber boshaft ist er nicht.“ (1921) „Ob der Herrgott nicht darüber lacht oder mich an der Nase herumgeführt hat, das kann ich nicht wissen.“ (1905) „Ich glaube an Spinozas Gott, der sich in der gesetzlichen Harmonie des Seienden offenbart, nicht an einen Gott, der sich mit dem Schicksal und den Handlungen der Menschen abgibt.“ (1929)
Über die Wortschöpfung Einsteins kann sich jeder freuen, der sich in dem von ihm beschriebenem Sinn als religiös empfindet. Die „kosmische Religion“ ist eine Religion ohne Hierarchien. Sie ist der inneren Erfahrung, dem Wissen und der Humanität verpflichtet. Es ist nicht in Einsteins Sinne, aus seiner Idee eine Organisation zu schaffen mit hierarchischen Strukturen, Titeln, festen Lehren, strikten, Ritualen. Man wird eher, wie Einstein, die Hoffnung setzen auf den allmählichen Zugewinn an Erkenntnis und Weisheit durch einzelne Individuen und Vernetzungen sowie konkrete gesellschaftliche und politische Zusammenarbeit.
Das Zeitalter der Aufklärung hat das Recht auf Religionsfreiheit des einzelnen ermöglicht. In säkularen Staaten tritt die Religion und das Bekennen einer Religion allmählich in den Hintergrund. Zur Zeit ist wieder eine Hinwendung zur Religiosität und zu den Religionen erkennbar . Viele Menschen in den modernen Gesellschaften lehnen ein enges religiöses Konzept ab, ebenso aber einen rohen Materialismus. Wer nicht in einer typischen Religion organisiert ist, ist deswegen nicht a-religiös oder nicht-religiös.
Dies ruft förmlich nach einer Sprachregelung. Auch heute haben Menschen bisweilen das Bedürfnis, ihre Position bzgl. Religion und Weltanschauung deutlich zu machen. Einstein hat es auf seine Weise gelöst. Er, der sich als konfessionslos, aber „tief religiös“ bezeichnete, hat seine Religion gefunden und ausgedrückt. Er hat keine Organisation für diese Idee gegründet. Man kann dies als Absicht interpretieren. Sonst hätte er es getan oder angeregt. Doch immerhin: Er hat einen Namen für seine Art der Religion gefunden, mit der sich viele „Einspänner“ anfreunden können.
„Ich bin zwar im täglichen Leben ein typischer Einspänner, aber das Bewusstsein, der unsichtbaren Gemeinschaft derjenigen anzugehören, die nach Wahrheit, Schönheit und Gerechtigkeit streben, hat das Gefühl der Vereinsamung nicht aufkommen lassen.“ So schreibt er in seinem Glaubensbekenntnis.
Nichts spricht dagegen, aber vieles dafür, dass wir das von Einstein geprägte Wort verwenden, wenn man sich als Mitglied dieser „unsichtbaren Gemeinschaft“ zu erkennen geben will und damit auch die Idee einer kosmischen Religiosität fördern will. Es ist eine re-ligio für Menschen, die sich den Werten kosmischer Geschwisterlichkeit mit den anderen Wesen in diesem Kosmos verbunden weiß, im Streben nach „Wahrheit, Schönheit und Gerechtigkeit“.
Wer diese Einstellung teilt, gehört zu einer großen, universalen geistigen „unsichtbaren Gemeinschaft“, einer communitas cosmica im Sinn der großen Religionsstifter. Sie lässt, wie Einstein schreibt, das Gefühl der Vereinsamung nicht aufkommen. Wer so fühlt oder glaubt, ist nie allein. Weil diese kosmische Einstellung drängt zum kosmopolitischen Denken und Handeln, könnte man auch sprechen von einer cosmic community oder communitas cosmica. Das Wort beschreibt sozusagen die zur Praxis gewordene Einstellung: Der kosmisch fühlende Mensch wird zum kosmopolitisch handelnden Menschen.
Diese geistige unsichtbare Gemeinschaft kann als Sauerteig wirken für eine friedlichere und gerechtere Welt. Sie ist konfessions- und religionsübergreifend. Sie hat das unselige Freund-Feind-Denken und das enge Konfessions-Denken in den Religionen überwunden.
Wer dieser cosmic community oder communitas cosmica zugehört, arbeitet ohne Berührungsängste mit verschiedenen religiösen oder weltanschaulichen Gemeinschaften zusammen. Denn man kann sich in mehreren Gemeinschaften zu Hause zu fühlen.
Jeder weitgereiste Mensch wird mehrere Gegenden dieser Welt als wunderbar bezeichnen können, – und dennoch wird er möglicherweise seine Heimat besonders lieben und zu ihr ein besonderes Verhältnis haben. Dumpfer Patriotismus gehört einem früheren, archaischen Denken an. Gott sei Dank können wir heute die Liebe zur Heimat und die Liebe zur Welt verbinden. Wir können überzeugt unsere Heimat lieben, und dennoch überzeugt Kosmopoliten sein!
Ein freies Christentum steht selbstverständlich im Einklang mit den Zielen einer kosmischen Religiosität.
Ein Christ würde noch seine spezifischen Überzeugungen und Anliegen in die kosmische Religion einbringen, so wie auch ein Jude, Muslim oder Buddhist oder Hinduist seine Besonderheiten in das große Konzert der Religionen einbringen wird.
Nicht eine Einheits-Religion ist die Lösung, sondern Freude an der Vielfalt. Die Freude an der Vielfalt gegenüber anderen Gemeinschaften und deren Kulte und Rituale ist geradezu ein Kriterium reifer Religiosität.
Die geistige Gemeinschaft mit einem weiten Herzen und gelebter religiöser Toleranz wird ihre Wirkung entfalten auf die Welt, damit sie zu kosmopolitischer und kosmischer Gesinnung und Haltung heranwächst, zu Gewaltfreiheit und Frieden, durch helfendes Tun und in tätiger Liebe. In der Stille gedeiht Großes und Gutes.
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